Vorsicht vor nachhaltigen Angeboten
Da die Nachfrage nach klimafreundlichen und nachhaltigen Reiseangeboten in den letzten Jahren stark gestiegen ist, sind viele Anbieter von Fluggesellschaften bis zu Hotels auf diesen Zug aufgesprungen und versuchen ihre Produkte und Dienstleistungen als besonders umweltfreundlich zu verkaufen.
Bei kritischer Betrachtung stellt sich aber oft die Frage, ob in vielen Fällen nicht „Grüne Augenwischerei“ betrieben wird und wie Konsumenten die wirklich nachhaltigen Angebote finden können.
Die Klima-Diskussionen der letzten Jahre haben zu einem Umdenken bei vielen Menschen geführt. Beschleunigt wurde das noch durch die Corona-Pandemie, als Reisen zwei Jahre lang so gut wie unmöglich waren. Immer mehr Menschen suchen heute nach klimafreundlichen Reiseangeboten, was ein aktueller Report des World Travel & Tourism Council bestätigt: Danach haben fast 60 Prozent aller Reisenden sich zuletzt für nachhaltige Reiseoptionen entschieden und fast 70 Prozent suchen heute nach entsprechenden Angeboten.
Das größte Problem für Reisende ist aber, Anbieter zu finden, für die Umweltschutz und Nachhaltigkeit nicht nur Marketing-Slogans sind, sondern die es damit wirklich ernst meinen. Darauf hat James Thornton, CEO des amerikanischen Reiseunternehmens Intrepid Travel, in einem Interview mit dem Sender CNBC hingewiesen: Viele Anbieter seien leicht zu entlarven, wie zum Beispiel Hotels, die sich für nachhaltig erklären, und dabei nach wie vor Shampoos und Duschgels in kleinen Plastikflaschen in die Bäder stellen. Das sei nichts anderes als „Greenwashing“. Mit diesem Begriff werden heute Unternehmen beschrieben, die umweltfreundlicher erscheinen wollen, als sie es tatsächlich sind.
Viele Anbieter im Reisesektor werfen in ihren Werbebroschüren mit Öko-Schlagwörtern um sich und nutzen Bilder von frisch gesetzten Bäumen und intakter Natur, ohne ihre Aussagen durch nachhaltiges Handeln zu bestätigen. Thornton rät daher Reisewilligen, nicht auf solche Werbeslogans herein zu fallen, sondern genau hinzusehen und sich über einzelne Unternehmen zu informieren.
Er teilt die Reiseindustrie derzeit in drei Kategorien ein: Ein Drittel der Anbieter hat wirklich gute Absichten und setzt sich aktiv für die Bewältigung der Klimakrise ein, mit teilweise sehr guten Fortschritten. Das zweite Drittel sind die Zögerer, die zwar gute Absichten haben, diese aber (noch) nicht in aktives Handeln umsetzen. Das dritte Drittel schließlich sind die Blender, die mit Öko-Schlagworten werben, aber nur den Kopf in den Sand stecken und hoffen, dass sich das Problem irgendwann von selbst erledigt hat.
Um die Unternehmen zu erkennen, die wirklich nachhaltig agieren, sollten Konsumenten laut Thornton auf bestimmte Hinweise achten:
- Hat das Unternehmen eine nachhaltige Tradition, oder ist es erst kürzlich auf den Ökozug aufgesprungen? Das kann einen Hinweis darauf geben, ob umweltfreundliche Absichten ernst gemeint sind oder nur vorgeschobene Marketinggags.
- Wichtig auch die Antworten auf Fragen wie: Werden erneuerbare Energiequellen genutzt? Stammen die Lebensmittel aus der Region? Kommen die Mitarbeiter aus den umliegenden Gemeinden?
- Aufschlussreich ist ein Blick im Internet in die „Glasgow Declaration on Climate Action in Tourism“. Auf dieser Website sind derzeit über 700 Unternehmen und Organisationen aufgelistet, die ihre umweltschädlichen Emissionen aktiv reduzieren wollen und einen Klimaplan mit klaren Maßnahmen veröffentlicht haben, der von der Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen überwacht wird. Eine zweite Quelle ist die „Science Based Targets Initiative“, eine Partnerschaft zwischen dem United Nations Global Compact, dem World Resources Institute und dem World Wide Fund for Nature. Auf dieser Website sind mehr als 4.500 Unternehmen weltweit aufgeführt, die sich zur Reduzierung ihrer Emissionen verpflichtet haben (darunter z.B. Amex Global Business Travel und die Flight Centre Travel Group aus Australien).
- Ein Hinweis auf ernsthafte Umweltschutz-Bemühungen können auch Zertifikate sein. Zur Zeit am meisten respektiert ist die „B Corp Zertifizierung“ der gemeinnützigen Organisation B Lab. Diese wird nach strenger Prüfung vergeben und ist drei Jahre gültig. Die Zertifizierungsgebühren von B Corp richten sich nach dem Jahresumsatz des Prüfkandidaten und beginnen bei 1.000 US-Dollar (unter 1 Mio. $ Umsatz). Andere Öko-Zertifikate sind laut Thornton weniger anspruchsvoll und eher eine Masche, um leicht Geld zu verdienen.
Grüne Augenwischerei ist vor allem das System der Kompensation klimaschädlicher Emissionen. Viele Firmen, darunter vor allem Fluggesellschaften, investieren lieber in den Ausgleich ihrer Emissionen, als diese selbst zu reduzieren. Dies geschieht über sogenannte CO2-Zertifikate, die durch Projekte generiert werden, die dem Klimaschutz dienen sollen. Darunter fallen beispielsweise der Ausbau erneuerbarer Energien oder die Aufforstung und der Schutz von Waldgebieten, die die CO2-Belastung des Klimas senken sollen. Aber dieses System dient vor allem der Gewissensberuhigung: Man kann beruhigt durch die Welt fliegen, wenn man im Gegenzug Projekte zur Einsparung von Emissionen finanziert.
Hier ist ein riesiger Markt entstanden: Allein im Jahr 2021 wurden 2 Milliarden US-Dollar für freiwillige Kompensation gezahlt. Aber werden durch entsprechende Projekte tatsächlich Emissionen gesenkt? Zweifel daran werden durch eine Untersuchung der Zeitschriften die „Zeit“ und des britischen „Guardian“ gestützt. Danach waren mehr als 90 Prozent der CO2-Zertifikate aus Waldschutzprojekten des weltweit größten Zertifizierers Verra nutzlos, um Emissionen einzusparen. Verra-Kunden sind u.a. Konzerne wie Netflix, Disney oder Gucci.
Am Beispiel Gucci konnte dies eindrucksvoll belegt werden: Das Modeunternehmen bezeichnet sich selbst aufgrund der gekauften Zertifikate als „CO2-neutral“. Ein riesiger Schwindel, denn in Wirklichkeit produziert es heute mit 1 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr mehr umweltschädliche Abgase als vor einigen Jahren. Das gleiche gilt für ganze Branchen wie den Flugverkehr oder sogar Staaten, die sich durch den Kauf von Zertifikaten für „klimaneutral“ erklären.
Aber das System wird bei steigender Nachfrage nach Kompensationszertifikaten sowieso an seine Grenzen stoßen: Denn die von Rodung bedrohten Waldflächen sind begrenzt, um deren Schutz es bei Zertifikaten, wie sie Gucci kauft, geht. Irgendwann werden alle Wälder (theoretisch) geschützt und auch andere Möglichkeiten zur Kompensation ausgeschöpft sein, während die Umweltverschmutzung gleichbleibend hoch ist. Noch ein Negativ-Beispiel: Der Mineralölkonzern Shell hat im letzten Jahr seine „Netto-Null-Emissionspläne“ verkündet. Um dieses Ziel durch den Kauf von CO2-Zertifikaten zu erreichen, müsste Shell eine Fläche, die dreimal so groß wie die Niederlande ist, aufforsten. Das hat die NGO „ActionAid“ ausgerechnet. Und selbst wenn genügend Fläche für solche Projekte vorhanden wäre, würde es viel zu lange dauern, bis die Kompensation wirksam würde. Denn ein ausgewachsener Baum braucht Jahrzehnte, um eine Tonne CO2 zu binden.
Außerdem: Wer garantiert, dass ein Wald, der heute aufgeforstet wird, nicht in 50 oder 100 Jahren abgeholzt wird oder einem der durch den Klimawandel zunehmenden Waldbrände zum Opfer fällt? Die Möglichkeit der Klimakompensation ist gefährlich, da sie die Illusion weckt, dass sich eigentlich in unserem täglichen Leben nichts ändern muss. Denn solange das Schlupfloch der Kompensation besteht, sind Unternehmen nicht gezwungen, ihre Emissionen wirklich zu reduzieren. Sie können sich freikaufen und erhalten damit quasi eine Lizenz zur weiteren Verschmutzung unserer Atmosphäre. Das System der Kompensation ist also nicht fehlerbehaftet, das System selbst ist der Fehler.
(red)